Predigt vom 27.09.2020 in Jerchel und Letzlingen
(2. Tim. 1,7-10)


Liebe Gemeinde,

mit einem einprägsamen Satz beginnt der heutige Predigttext, der auch heute noch gerne von Konfirmanden als „Lebensbegleiter“ ausgewählt wird: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“.

Es ist gut zu wissen, dass schon Menschen vor uns Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Sie haben diese Erfahrungen aufgeschrieben und möchten uns damit Mut machen, dass auch wir unsere Erfahrungen mit Gott machen. So auch mit diesen Worten, die wie ein Bekenntnis, wie eine tiefe Überzeugung klingen. Schon der erste Teil lässt aufhorchen: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht. Angst haben wir alle und Angst ist an sich auch nicht schlimm – nur wenn ich aus Ängstlichkeit handele und lebe, dann wird es schlimm – „Angst fressen Seele auf …“ Angst wird zum Selbstläufer, wenn sie nicht benannt wird, nicht „auf den Tisch“ kommt, nicht darüber gesprochen wird, denn dann kann ich auch Unterstützung erfahren, dann kann ich lernen zu unterscheiden und zu gewichten und ich kann Menschen gewinnen, mir nahe zu sein und mich zu begleiten.

Deshalb die drei Teile eines Ganzen: Kraft, Liebe und Besonnenheit. Für mich sind sie eine Mobile, sie sind ein Miteinander einzelner Teile, die sich gegenseitig halten und ausbalancieren.

Kraft steht für Mut, Schwung, Freude, ein gutes Lebensgefühl. Gottes Geist will uns kräftigen, will uns stark machen gegen alles Unheil, aber er gibt uns diese Kraft nicht im voraus, damit wir uns nicht auf uns selber, sondern allein auf ihn verlassen. Gott lässt uns nicht im Stich, aber entlässt uns nicht aus der Verantwortung, selber zu handeln und immer wieder neu aufzustehen.
Beispielhaft für diesen Geist steht ein Gedicht von Wolf Biermann mit dem Titel „Ermutigung“ aus den sechziger Jahren in der DDR, als die Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Staat an der Tagesordnung war, da hieß es in dem Gedicht in der ersten Strophe: „Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit. Und weiter: Du, lass dich nicht verbittern in dieser bittern Zeit. In der dritten Strophe: Du, lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit. Schließlich geht es in der letzten Strophe darum, nicht zu verstummen: „Wir wollen es nicht verschweigen in dieser Schweigezeit. Das Grün bricht aus den Zweigen. Wir wolln das allen zeigen. Dann wissen sie Bescheid“.

Zum Bescheid wissen über Ermutigung gehört der Geist der Liebe, den Gott uns gegeben hat: Ein Leben ohne Liebe wäre traurig, Liebe gibt die Kraft, einen anderen Menschen mit guten Augen zu sehen, auch zu verzeihen. Wohl dem Menschen, der einen Partner an seiner Seite weiß, einen Gefährten, der ihm und ihr die Treue hält. Das ist viel wert!

Auch das Verhältnis zu Gott ist eine Liebesbeziehung. An einer Stelle der Bibel heißt es: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Wenn wir der Liebe Raum geben, wenn wir liebevoll und behutsam miteinander umgehen, dann kommt sein Wille in unserem Leben zur Geltung.

Das dritte Stichwort Besonnenheit, das klingt so herrlich altmodisch auf eine gute Weise. Ein besonnener Mensch überlegt, was er tut und sagt, er schießt nicht gleich los, er verletzt auch nicht mit Worten. Jüngeren Menschen fällt es schwer, besonnen zu sein, weil meist das Temperament forscher ist. Und trotzdem tut es auch den Jüngeren gut abzuwägen, welche Folgen ihre Worte haben könnten. Alt und Jung können je auf ihre Weise viel voneinander lernen und annehmen.

In diesem Sinne laßt uns fröhliche Menschen sein, die sich nicht vor anderen Menschen fürchten, sondern vielmehr mit Kraft, Liebe und Besonnenheit ihren Weg gehen.

Ein wichtiges Wort habe ich ja noch vergessen: Geist! Der heilige Geist, das ist die Kraft, die von Gott ausgeht; dafür steht das Symbol der Taube. Wir beten ja auch im Glaubensbekenntnis: Wir glauben an die Gemeinschaft der Heiligen, das sind wir alle, die wir uns zu Gott und Jesus halten und die wir Gemeinschaft erfahren, uns verstehen, Pfingsten erleben, Freude, das Gefühl haben getragen zu sein.

Zum guten Geist gehören auch gute Worte: Worte sind schnell gesagt und manches Wort hätte ich lieber nicht gesagt, weil ich seine Wirkung nicht abgeschätzt habe. Das steht dann im Raum und ist schwer wieder zurechtzurücken. Gute Worte sind das andere. Wie gut, wenn ich ein tröstendes Wort höre oder ein liebevolles Wort – das brauchen wir auch und wir können spüren, wie gute Worte auch Menschen verändern können und lange in uns nachwirken (Austausch über aufbauende Worte: ich hab ein gutes Gefühl für dich… du schaffst das schon … aus dir wird mal was …)

Es geht schließlich auch um die Perspektive über das Leben hier hinaus.
Und dafür steht für mich ein Satz aus dem vertrauten 23. Psalm vom guten Hirten, wo es heißt: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar“.

Wie gut, wenn wir zu allen Lebenslagen vertraute Worte kennen. Der 23. Psalm bietet Halt und Orientierung an, und dieser Satz ist im Besonderen eine Perspektive und ein Wunsch: Ich möchte bei Gott bleiben, das Haus Gottes ist die Kirche, aber erst die Menschen als Gemeinde machen das Gebäude schön und spannend. Also lassen sie sich immer wieder neu einladen zur Gemeinde Gottes. Es tut gut zu wissen, es sind noch andere da, die auch mit auf dem Weg sind und den Wunsch haben: Es muß mehr geben als wahr vor Augen ist … Dazu gehören Gutes und Barmherzigkeit, dass Menschen nicht so hart mit sich selber und anderen sind. Barmherzig zu sein, könnte auch für uns heißen, nicht allen Ansprüchen und Erwartungen von anderen zu genügen, sein eigenes Profil zu entwickeln und den Mut zu haben, zu sich selber zu stehen und zu seiner eigenen Überzeugung, und dabei nicht starr und unbeweglich zu werden.

Wir können heute nur wünschen, dass Gottes Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit unser Tun und Reden bestimmt, und von diesem Geist sei unser Miteinander geprägt zum Wohle der Menschen und Gott zur Ehre.
Amen

Prediger: Pfarrer Gerd Hinke

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